Nachsorge und Wohnraum
Unser Nachsorgebereich ist das Herzstück unserer Arbeit und unersetzbar im Kampf gegen moderne Sklaverei in Form von Zwangsprostitution. Ein endgültiger Ausstieg aus diesem Milieu und den oft kriminellen Strukturen gelingt nur durch intensive Betreuung.
Wir möchten, dass möglichst viele Frauen durch unsere Nachsorge die Chance erhalten, ein neues Leben zu beginnen. Gleichzeitig ist Esther Ministries e.V. aber auch bewusst, wie schwierig sich ein Ausstieg für eine Frau gestaltet. Viele Frauen, die aussteigen möchten, benötigen mehrere Anläufe um das Rotlichtmilieu mit seiner „Sogwirkung“ hinter sich zu lassen. Einige scheitern auch ganz daran.
Ziel der Nachsorge ist, die Frau in ein selbstbestimmtes Leben zu führen!
Wir wollen die Frau konkret, umfassend und individuell unterstützen, sodass sie die bestmögliche Voraussetzung bekommt, um in ein neues Leben erfolgreich und nachhaltig zu gehen.
Die Frau soll lernen, ihren Alltag mit ihren Zielen und Wünschen selbst zu gestalten, Probleme zu lösen und ihren Platz in der Gesellschaft zu finden. Sie soll ihre Rechte in Anspruch nehmen und ihren Pflichten nachkommen können. Sie soll lernen sich selbst finanziell, durch eine für sie passende Tätigkeit, zu versorgen und eine gesunde Beziehung zu sich selbst und anderen zu pflegen.
Die Lebenssituation der Aussteigerinnen
Die Lebenssituationen von Frauen in der Prostitution sind sehr heterogen, aber gemeinsam ist ihnen die traumatische Erfahrung der sexuellen Ausbeutung. Es lässt sich nicht einfach bestimmen, wer freiwillig arbeitet und wer fremdbestimmt agiert und was Freiwilligkeit in diesem Zusammenhang überhaupt bedeutet.
Für Frauen, die durch die Arbeit in der Prostitution psychisch und physisch entkräftet sind, ist es kaum möglich, ihre Lebenssituation ohne professionelle Unterstützung zu ändern. Ein Jobwechsel ist nicht so einfach möglich, aufgrund der meist fehlenden festen Wohnung, hoher Verschuldung, fehlender Zeugnisse oder Schulabschlüssen, mangelnder Sprachkenntnisse und fehlendem sozialen Umfeld. Dazu kommt nicht selten die Angst vor einem Zuhälter und die Abhängigkeit von ihm und dem gesamten Milieu als einzig bekannter Lebenswelt.
Aus diesen Gründen und der gesellschaftlichen Stigmatisierung benötigen die Frauen ein speziell auf sie zugeschnittenes Angebot an Beratung und Begleitung. Ein wertschätzender Umgang mit diesen Frauen, der ihnen ein Stück ihrer verloren geglaubten Würde wiedergibt, ist für eine positive Lebensveränderung von besonders hoher Bedeutung.
Wir bieten den Frauen eine ganzheitliche Betreuung und Begleitung. Dazu gehört die Bereitstellung einer sicheren, möblierten Unterkunft in Form einer Wohngemeinschaft (im Schutzhaus oder in betreuten Wohnungen) sowie die Grundversorgung mit Lebensmitteln, Kleidung und einem Taschengeld, welches zur freien Verfügung steht.
Darüber hinaus kümmern wir uns um alle weiteren Belange der Frauen. Sofern möglich kann die Betreuung durch eine/n MuttersprachlerIn unterstützt werden. Haben die Frauen zu betreuende minderjährige Kinder, sind wir ebenfalls in der Lage diese mit aufzunehmen. Auf Wunsch der jeweiligen Frau stellen wir auch Kontakte zu Organisationen im Heimatland her und organisieren bei Bedarf die Rückführung.
Für die verschiedenen Bedarfe der Aussteigerinnen haben wir ein mehrstufiges Modell mit abnehmender Betreuungsintensität entwickelt. Eine Frau kann dieses Betreuungsmodell mit zunehmender Selbstständigkeit durchlaufen und bekommt damit eine Chance, sich gut in ein neues Leben einzufinden. Es ist aber auch möglich, dass eine Frau nur einzelne Betreuungsangebote wahrnimmt.
Das Betreuungsmodell besteht aus 4 Stufen:
- Betreutes Wohnen im Schutzhaus (noch in Planung)
- Betreutes Wohnen in der WG
- Begleitetes Wohnen in einer Einzelwohnung
- Begleitetes Wohnen im Individualwohnraum
In der Prostitution haben die Frauen oft keine Möglichkeit, ihren Alltag zu strukturieren und zu gestalten. Viele arbeiten zum Beispiel entgegen der gesellschaftlichen Norm antizyklisch 16 Stunden am Tag.
Der neue Spielraum birgt große Herausforderungen und Gefahren: Langeweile und Einsamkeit müssen bewältigt und Depressionen und Traumata bearbeitet werden. Dabei steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sich eine Frau zurück ins bekannte Milieu stürzt. Deshalb erstellen unsere Sozialarbeiterinnen in unseren enger betreuten Angeboten zu Beginn jeder Woche gemeinsam mit den Frauen einen Wochenplan mit verschiedensten Aufgaben, Terminen und Angeboten.
Die Aussteigerinnen benötigen eine vertrauensvolle Person, die ihnen die Welt, in der sie jetzt leben erklärt, verständlich macht und bei Problemen Lösungen aufzeigen kann. Nur mit einer umfassenden Betreuung, können die Frauen das angstauslösende Gefühl der Verlorenheit, in dieser für sie völlig fremden Welt, überwinden und ein neues Selbstwertgefühl entwickeln.
Diese wertvolle Begleitung in Form von Patenschaften durch ehrenamtliche Mitarbeiterinnen, kann im Rahmen des begleiteten Wohnens (im Einzel- oder Individualwohnraum) gewährleistet werden.
Eine Frau, die im Bordell arbeitet, ist in aller Regel dort nicht gemeldet. Ist sie keine Deutsche, hat sie meist keine Krankenversicherung, zahlt keine Sozialabgaben und hat keinen Anspruch auf irgendwelche Leistungen.
Wir können helfen, eine passende Anstellung außerhalb des Rotlichtmilieus zu finden und bauen partnerschaftliche Verbindungen zu Unternehmen auf, die regelmäßigen Bedarf an Hilfskräften haben. Wir beraten, begleiten die Suche, helfen beim Erstellen von Bewerbungsunterlagen und bieten Begleitung zu Terminen an. Sofern möglich kann die Betreuung durch eine/n Muttersprachler/-in erfolgen.
Das eigene Zuhause ist häufig keine Selbstverständlichkeit. Betroffene, die im Bordell arbeiten, haben in der Regel dort ein Zimmer zu einem horrenden Preis gemietet. In diesem arbeiten sie nicht nur, sondern leben auch dort. Gründe dafür können die Situation auf dem Wohnungsmarkt sein, die fehlenden Mittel, die sprachlichen Barrieren oder die Hoffnungslosigkeit der eigenen Situation.
Die Chancen, ohne Hilfe ein neues Zuhause zu finden sind sehr gering.
Daher steht Esther Ministries auch darin den Betroffenen tatkräftig zur Seite. Wir vermitteln und mieten Wohnungen für Betroffene, die wir in der Nachsorge betreuen oder die ganz auf eigenen Beinen stehen wollen.
Frauen, die eine Zeit lang in der Prostitution tätig waren, haben nicht selten mit sexuell übertragbaren Infektionen (STI), inneren Organschäden durch harte Sexualpraktiken, Rückenschmerzen und Suchterkrankungen zu kämpfen. Hinzukommen auch psychosomatische Beschwerden. Studien haben gezeigt, dass Prostituierte durch ihre Tätigkeit einem sehr hohen Maß an verbaler, psychischer, physischer und sexueller Gewalt ausgesetzt sind.
Esther Ministries unterstützt Frauen in der Genesung, eröffnet Wege in das Gesundheitssystem, begleitet zu Arztterminen und informiert über Gesundheitsthemen. Bewegung und Sporteinheiten sind Teil der Wochenstrukturierung und die Frauen werden auf ihrem Weg der Stabilisierung bei einer Suchterkrankung begleitet.
Für die psychische Rehabilitation ist in der Regel eine Traumatherapie notwendig. Frauen, die aus der Prostitution aussteigen, leiden unter den Folgen der traumatischen Erfahrungen. Aus Schutzmechanismen wie Dissoziation, entwickeln sich psychische Erkrankungen – von der Posttraumatischen Belastungsstörung bis hin zu komplexen Persönlichkeitsstörungen, Zwangsneurosen und Angststörungen.
Esther Ministries kooperiert nach Möglichkeit mit anerkannten Traumatherapeuten. Die geschulten Sozialarbeiterinnen begleiten den Prozess. Ergänzende Therapieangebote (z. B. Kunsttherapie) und den Einbezug von Kreativ- und Musikangeboten, Gartenpflege, eventuell Tieren und dem Glauben der Frauen können sie darin unterstützen, Erlebtes zu verarbeiten, eine neue Identität zu festigen und zu lernen ihre Bedürfnisse und Gefühle wahrzunehmen.